Eine Tasche für Maria B.
gepackt von Susanne B.
Hat der Geburtsort Einfluss auf das spätere Leben? Wer daran glaubt, würde bei einer auf Sumatra Geborenen unwillkürlich an ein exotisches und spannendes Dasein denken. Immerhin ziehen Bilder wie tropischer Regenwald, Orang-Utans und Sumatra-Tiger vor dem inneren Auge auf.
Doch fällt in der schwarzbraunen Ledertasche, die Susanne B. für ihre auf Sumatra geborene Mutter Maria gefüllt hat, eine Art selbstgebastelte Tablettenschachtel ins Auge. Sie trägt die Aufschrift Tavor und enthält den Wirkstoff Lorazepan. Laut Wikipedia wird er hauptsächlich als Beruhigungsmittel bei Angst- und Panikstörungen eingesetzt.
Viele unerfüllte Sehnsüchte prägten das Leben ihrer Mutter, schreibt Susanne B. in der Vita. Marias Mutter stirbt bei der Geburt, das Kind kommt gegen eigenen Wunsch nach Deutschland, wo sie zum Spielball der Erwartungen „konkurrierender Verwandtschaftszweige“ wird. Statt eine Ausbildung zur Dolmetscherin für Französisch machen zu können (Inventar: Chateaubriands ‚René‘ auf französisch), flieht Maria nach Pommern in den Arbeitsdienst.
Sie heiratet, bekommt sieben Kinder (Inventar: Schnuller), wird Chorleiterin in der Diaspora-Gemeinde (Stimmgabel, Liederbuch). Als der Ehemann stirbt, ist sie 62 Jahre alt, die Kinder sind aus dem Haus, nun könnte sie tun, was sie wollte. Doch Resignation und Depression sind nun zu groß, deshalb wohl ‚Mother’s little Helpers‘. „Debatten über gesellschaftliche Zusammenhänge, geführt mit ihren Töchtern, erlebte sie nur als bedrohlich.“ Als letzte Sehnsucht blieb die nach himmlischer Geborgenheit.
Um also die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Nein, ein exotischer Geburtsort verspricht kein spannendes, erfülltes Leben. Nicht für Frauen, die Anfang des letzten Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten. Ihr Gestaltungsspielraum für das eigene Leben, das haben viele Taschen bisher gezeigt, war einfach begrenzt.
KS
